MS Amera im Beauty Salon
An Bord von MS AMERA versteht man sein eigenes Wort nicht. Die Geräuschkulisse der stahl- arbeitenden Handwerker vor dem Fenster gleicht startender Düsenjets. Mit einem Satz ins Walkie-Talkie beendet Handwerker-Chef Svetlo für unsere Interviews den Lärm. Stille auf Knopfdruck. Willkommen an Bord – Willkommen in der Werft!
Nicht nach rechts in das andere Trockendock fotografieren,
da liegt die Jacht eines russischen Oligarchen, dessen Security hat euch im Blick und wirft die Handys und Kameras ohne zu zucken ins Wasser.“ Mit dieser Begrüßung empfängt uns Senior-Bauleiter Norbert Jepsen in der Werft, in der unser Flotten-Neuzugang MS AMERA für umfangreiche Umbaumaßnahmen und Modernisierungen liegt. Im Wasser wirkt das Schiff schon stattlich, aber hier auf dem Trockenen erscheint “die Prinzessin” übermächtig und riesig. Das merken wir erst richtig, als wir gefühlte 1.000 Treppenstufen – wie auf den Kölner Dom – und mehrere Stock-werke über die Eisen-Außenleitern hochsteigen, um an Bord zu gelangen. Der Besuch im Trockendock ist ein beein-druckendes und mächtiges Erlebnis. Allein die Anzahl an Menschen, die hier arbeiten, kommt einem Ameisenhaufen gleich. Nahezu 1.500 Mitarbeiter laufen auf den Decks hin und her, eine Mini-Baustelle reiht sich an die andere. Böden, Decken, Treppenhäuser und Kabinen – überall wuseln die Handwerker mit ihren Geräten umeinander. Wie behält man hier bloß den Überblick? Sie sind die Antwort: Norbert Jepsen und Benjamin Drechsel. Offiziell tragen sie den Titel “Bauleitung Fleet Management” und kennen das Schiff in- und auswendig. Gefühlt wissen sie, wo jedes Kabel, jede Leitung und jede Stufe des Schiffes verlaufen, das sie in der Werft betreuen. Norbert Jepsen ist ursprünglich gelernter Tischler und hat stündlich den genauen und aktuellen Zustand und Fortschritt der Werft-arbeiten im Blick. Sein Markenzeichen ist die Detailverliebtheit. “Über welches Deck wollt ihr etwas wissen?”, lautet seine Lieblingsfrage und dann legt er los mit Zahlen, Fakten und genauen Ausführungen der Arbeiten an Bord, bis man selbst das Gefühl hat, jede Ecke des Schiffes zu kennen. Benjamin Drechsel ist Innenarchitekt und seit vielen Jahren mit Phoenix verbunden. Egal wer, wann, welche Frage zum Schiff hat – er kennt die Antwort oder weiß, wie er sie herausbekommt.Jede Wand ist für eine Überraschung gut
Eine der größten Herausforderungen bei einem Schiffsumbau wie diesem sind die zahlreichen “Überraschungen”, die hinter jeder Wand und unter jedem Bo-den zum Vorschein kommen können. “Teilweise sind es mehr als 30 Jahre alte Schiffspläne aus Finnland, die dem Team vorliegen. Niemand kann sagen, ob und wann diese Pläne aktualisiert worden sind”, erklären die Bauleiter. Deshalb muss sehr oft sehr spontan entschieden werden, wie nun weitergearbeitet wird. Der Stresslevel unter den Gewerken und im Gesamtablauf ist daher sehr hoch. Die Abhängigkeit vom Zeitplan lastet täglich auf allen Beteiligten. Wenn durch Überraschungen im Bau Entscheidungen über den weiteren Ablauf anstehen, werden diese sofort getroffen, damit alle Vorgänge und Prozesse weiterlaufen. Jeder Handgriff muss sichtbar oder nicht, direkt oder indirekt in den nächsten greifen. Denn die Jungfernfahrt von MS AMERA ist seit Monaten ausgebucht, und der Termin muss wie bei allen Schiffsbauten eingehalten werden – ohne die kleinste Verzögerung. Einen Baustopp, wie z.B. beim Berliner Flughafen, kann sich ein Kreuzfahrt-Unternehmen nicht leisten. Alle Beteiligten liefern unter Zeitdruck beeindruckende Arbeit ab. “Wir spielen hier Champions League”, erklärt Benjamin Drechsel lachend. Die Werftzeit dient aber nicht nur den umfangreichen Modernisierungs- und Umbauarbeiten, sondern entpuppt sich auch als per-fektes Rendezvous zum Kennenlernen zwischen Kapitän Jens Thorn und der “Prinzessin” MS AMERA. “In den sechs Wochen konnte ich mich mit jeder Ecke des Schiffes vertraut machen”, erklärt der erfahrene Seemann, der den Flotten-Neuzugang als Kapitän übernimmt. Dieser lange Werftaufenthalt bietet ihm die Möglichkeit, sich ein de-tailliertes Bild vom Schiff zu machen – über und unter der Wasseroberfläche. “Jetzt sind wir schon ein Herz und eine Seele”, fügt er lachend hinzu.
Arbeiten auf einem Abenteuerspielplatz
Über 40 verschiedene Gewerke sind an Bord zu finden. Von A wie Architekt bis Z wie Zimmerer tummelt sich auf den Decks jedes Handwerk, das man kennt: Bodenleger und Schreiner, Elektriker und Polsterer, Glaser und Klempner u.v.m. Früher war die Werft Blohm&Voss ein Komplettdienstleister.
Trockendock Elbe 17
Es ist eines der größten Trockendocks Europas: das Trockendock Elbe 17 im Ham-burger Hafen gegenüber den Landungsbrücken. Gelegen auf dem Gelände der Werft Blohm&Voss wird es hauptsächlich für die Reparatur und den Umbau von Schiffen genutzt, teilweise auch für deren Neubau.Zur Geschichte: Im Mai 1938 erteilte das Oberkommando der Marine den Bauauf-trag für ein Trockendock von 351 m Länge, 59 m Breite und einer Wassermenge von 240.000 m³, das den großen Schlachtschif-fen als Bau- und Reparaturdock dienen sollte. Der Plan wurde zu Kriegsbeginn ver-worfen, das Dock aber im Jahre 1942 fer-tiggestellt. Im Krieg boten seine Beton-mauern über 6.000 Personen als Luftschutzbunker Platz. Nach Kriegsende fungierte das Dock als Hafenbecken. Im Januar 1950 gab die Britische Besat-zungsmacht den Befehl, das Dock zu sprengen. Die Bevölkerung lief dagegen Sturm und Tausende versammelten sich am Tag der vorgesehenen Sprengung auf den Landungsbrücken, um gegen die Zerstörung zu protestieren – mit Erfolg. Die Sprengung wurde ausgesetzt und der Befehl bald darauf aufgehoben. Die Werftanlagen umfassen heute eine Fläche von über 421.000 m² mit hochmoderner Infrastruktur. FOTOS: Claudia Gliss (6)Fleet-Architekt&Bauleiter Benjamin Drechselmit 8.500 Mitarbeitern für alles rund um den Werftaufenthalt. Heute erledigen die rund 400 festen Werft-Mitarbeiter 10-15% der Leistungen, die an Bord erbracht werden. Die restlichen Arbeiten werden von Subun-ternehmen erfüllt. Eine gewisse Abenteuer-lust ist bei allen Beteiligten deutlich zu spü-ren. Eine Werft ist schließlich kein 08/15 Arbeitsplatz. Wer durch das völlig aufgelöste Schiffsinnere läuft, denkt nicht im Entfern-testen an luxuriöse Kreuzfahrten, sondern fühlt sich wie ein Abenteurer auf Entde-ckungsreise, bei der hinter jede Ecke etwas Spannendes, Neues und Unerwartetes war-tet. “Hier trifft Handwerk auf Naturwissen-schaft und Pythagoras auf Improvisation – das macht richtig Spaß“, resümiert der be-geisterte Schiffsversteher Norbert Jepsen. Die Phoenix-Gäste werden von den Strapazen der Handwerker, den vielen Herausforderungen beim Umbau und den Überstunden der Verantwortlichen nichts mit-bekommen. Auf sie wartet ein strahlend schönes und modernes Schiff, das sie mit auf viele traumhafte Reisen nimmt. Dann gilt auch für MS AMERA: Willkommen an Bord – Willkommen zu Hause!